27. Juli 2025
„Du mußt dich dem Schmerz stellen.
Du mußt ihn anschauen, mußt sehen. Sehen und verstehen.
Verstehen bedeutet: frei werden.
Ja, versuche zu spüren. Versuche zu sehen.
Da ist der Schmerz.
Was ist das genau? Wo ist es?
Es ist Spannung.
Spannung ist Schmerz und Schmerz ist Spannung.
Und nun? Wie geht es weiter?
Willst du dich wehren? Mit noch mehr Spannung antworten?
So, wie wir es üblicherweise tun?
Nein.
Du kannst dich dem Schmerz öffnen.
Du wirst erstaunt entdecken, daß du Angst hast.
Die Angst trennt dich von deiner wahren Empfindung.
Und du empfindest Schmerz, weil du getrennt bist.
Öffne dich. Lasse den Schmerz tief in dich hinein. Gib dich ihm ganz hin.
Du öffnest… öffnest…
˃Du ˂ verschwindest, es gibt nur noch diesen Schmerz.
Und plötzlich geschieht ein Wunder:
Es öffnet dich mit ungeheurer Intensität.
Ein tiefer, erlösender Atemzug entsteht in dir
und erfaßt dich wie eine große Welle.
Er durchströmt deinen ganzen Körper
und erfüllt dich mit einer ganz neuen Lebenskraft.
Der Schmerz verwandelt sich in Ekstase.“
Frédérick Leboyer, Weg des Lichts
Ich muss mich immer wieder dem Schmerz stellen ....
Das was Leboyer in Bezug auf die Geburt und dem Umgang mit Schmerz schieb, ist 1:1 auf den Schmerz nach einem tragischen Verlust übertragbar.
Wie oft habe ich nach dem Durchleben eines Schmerzanfalls beschrieben, wie es sich für mich anfühlt. Wie es ist, sich dem Tsunami, der oft unverhofft aufkommt, zu stellen, auf die Knie zu sinken und zu denken „Nimm mich! Nimm mich ganz ...“ und was kann ich sagen, außer, dass es dann selten länger als zehn Minuten durch mich durch gerauscht ist. Das schmerzvolle Vermissen, die Enge im Brustkorb, sogar im ganzen Körper, diese Ganzkörpererfahrung in so einem Schub.
Sie werden immer mal wieder kommen, da sein und vergehen.
In einer Woche ist wieder dieser 3. August.
Der 8. Todestag.
Damals, so ganz am Anfang, nach dem Absturz, als ich viel davon schrieb und in verschiedenen Interviews erzählte, da war alles frisch und ich sprach von der Anmut ihres Todes, von dem schönsten Platz zu Sonnenaufgang am Eisgrat. Weil ich wusste, es hätte kein paradiesischer Ort sein können, für diesen gigantischen Wechsel der Dimensionen. Den Blick auf die Welt vom Eisgrat, die Sonne taucht diese atemberaubende Landschaft in einen göttlichen Schimmer, diese feine Luft hoch oben zu atmen, zusammen … drei junge Menschen bei einer ihrer Lieblingsaktivität. Leonie und Simon, dieses Seelenpaar und Stefan, der ein wunderbarer Kletterfreund war.
Acht Jahre, ich habe damals öfter mit verwaisten Eltern gesprochen, bei denen es 6 oder 8 oder auch 12 Jahre her war, dass das Kind auf
unterschiedlichste Weise gestorben war. Wir haben keine Mutter, kaum Eltern erlebt, die uns erzählten, wie sich die Trauer in Liebe, Dankbarkeit oder ein weiches Feld von Annahme verwandelt. Im
Gegenteil. Es waren Sätze, die wie aus einem Maschinengewehr heraus kamen „Es wird immer schlimmer! Glaubt mir, es wird immer schlimmer!“ Als ich diesen Vater in einer stillen Ecke fragte, was
denn immer schlimmer werden würde, sagte er nichts. Mich hat es damals vor 7 oder 6 Jahren wirklich interessiert, was noch schlimmer werden würde, nach einigen Jahren mit der Trauer, dem Blick
auf die Ewigkeit, den Tod, dem wir alle entgegen gehen.
Es waren damals in einer Trauergruppe vor allem bzw. ausschließlich Eltern, die den Tod ihrer Kinder als etwas so tragisches und furchtbares
erlebten und weiterhin erfuhren, dass es uns (meinem Mann und mir) öfter stark das Gefühl vermittelt, dass unsere Liebe, die Visionen, die Nähe zu ihnen und unsere Dankbarkeit für die Zeit dieser
Jahre mit ihnen, falsch wären. Wir wussten es ja nicht. Niemand weiß, was richtig und falsch ist in Bezug auf Verlust, Tod und Trauer.
Und inzwischen weiß ich selbstverständlich, dass es kein richtig und falsch gibt. Es gibt den individuellen und einzigartigen Weg eines jeden für einen Verlust. Und jeder dieser Wege, jedes Gefühl, jeder Gedanke und jeder Weg, Schritt für Schritt ist wie er IST.
Wie könnte es beim Tod, beim Sterben, bei einem Verlust um eine Bewertung gehen, einen Vergleich?
Oh doch, ich kenne dieses vergleichen sehr intensiv. Wie oft denke ich, wie schmerzvoll, das zu erleben ... wenn ich von Eltern lese, die ihr Kind mit 2 ½ an einer Krankheit verlieren, einer Sepsis, durch eine Krebserkrankung, trotz schmerzvoller Behandlungen, oder erstickt an einer Karotte, beim ersten Versuch eine Droge zu probieren, bei der Strangulation im Kinderzimmer in der perfekt gebauten Spielzeugwelt, beim Verbrühen durch heiße Flüssigkeit, die das Kind vom Herd auf sich zog, bei einem Unfall, wie seltsam auch immer dieser geschah … oh wie oft weine ich mit diesen Eltern, diesen Mamas, die doch alles versucht haben, ihr Kind zu schützen, alles richtig gemacht haben und doch… kam dieser Tod in das Leben dieser Familien. Alles wird anders sein. Für jeden der mit dieser Familie zu tun hatte.
Und dann nach einer gewissen Zeit, wird nicht mehr darüber gesprochen. Nicht über den Tod. Nicht über das Kind. Es wird nicht gefragt, wie es einem geht. Todestag, Geburtstag … da denkt kaum jemand von außen daran. Weshalb auch? Das Leben geht weiter. Die Welt, die Planeten ziehen ihre Bahnen. Neue Seelen kommen, andere gehen.
„Der Tod gehört zum Leben“ wird oft gesagt.
Doch wie er wirklich das Leben prägt, nach dem Verlust eines lieben Wesens, das ist ganz einzigartig. Und wie unser Leben weitergeht, ob wir es voll und ganz (an)nehmen oder vielleicht (unbewusst) darauf warten, dass wir auch endlich hier verschwinden können und die Liebsten wiedersehen, bleibt jedem überlassen.
Was definitiv bleibt ist Liebe, die einen immens großen Raum in uns hat.
Für mich ist die Liebe und Dankbarkeit das Höchste. Dazu kommt die Gnade, wie mich der Tod verwandeln durfte.
Ich segne jedes Leben. Ständig.
Das Leben hier in dieser Zeit, das Leben derer, die gerade gehen und jene, die geboren werden. Ich segne jene, die zutiefst im Schmerz sind nach einem Verlust. Und ich segne das Leben in der Geistigen Welt (obgleich sie es vermutlich nicht brauchen), wo das Leben weiter geht. Und zwar viel lebendiger, wundervoller, kostbarer, farbenfroher, als wir uns das hier mit unserem Kopf denken können.