Wie sich Trauer überwältigend in mein Leben bäumt …

Wie sich Trauer überwältigend in mein Leben bäumt …

 

 

 

Die Bereitschaft unsere Sehnsucht zu leben, erfordert Mut.

Wenn wir unsere Sehnsucht schmecken, den Schmerz fühlen, dann riskieren wir, die Sehnsucht unserer Seele zu finden.

Wir riskieren, unsere Sehnsucht zu unterschreiten.

Wir riskieren, unsere Sehnsucht voll und ganz zu leben.


Oriah aus „Die Einladung“

 

 

 

Ich habe schon seit vielen Jahren den Wunsch, reiten zu lernen.

 

Ungefähr zwei Wochen vor Leonies und Simons Tod hatte ich einen Traum, der mich immer wieder einholt, den ich öfter vor meinem inneren Auge erlebe.

 

Ich träumte, dass ich sie auf ihrer Weltreise in Island besuchen werde. Ich hatte daraufhin reiten gelernt und als ich sie dort traf, sagte ich zu ihnen: „Kommt, lasst uns ausreiten“. Leonie war etwas unsicher, da sie ja von meinem Respekt und den Ängsten in Beziehung zu Pferden wusste, doch ich strahlte sie an und sagte „Ich kann jetzt reiten“. Wir waren eine Gruppe von jungen Menschen, die sie in der Zwischenzeit auf der Insel kennengelernt hatten und wir jagten über die grünen Hügel, diese unbeschreiblich schöne Weite, zu Wasserfällen und heißen Quellen. Leonie jauchzte vor Freude und konnte das Glück gar nicht fassen, dass ich mit ihnen jetzt über diese grün über grünen Landschaften flog.

 

Ich weiß, dass ich diesen Traum Samstag auf Sonntag hatte, weil ich ihn meinem Mann am darauffolgenden Tag bei unserem längeren Spaziergang erzählte und zu ihm meinte, dass ich Leonie überraschen wolle und ihr den Traum nicht erzählen würde.

 

Nun, der Absturz der drei jungen Freunde am Eisgrat in den Bergen war dann ein Cut all dieser Vorhaben …. keine lebenden Kinder, keine Weltreise, kein Besuch hier und da und bis jetzt auch kein reiten lernen für mich.

 

Nachdem ich vor einigen Wochen mein Motorrad verkaufte, weil ich wegen meiner schnell schmerzenden Handgelenke kaum gefahren bin, kam in mir stärker dieser Wunsch auf, reiten zu lernen.

 

Die erste Reitlehrerin wollte mich nach dem Erstgespräch nicht und empfahl mir eine Reit-Therapie.

 

Das war mein Glück, denn so fand ich auch in der Nähe eine Reit-Therapeutin, die selbst erst mit 40 Jahren zu reiten begann. Jetzt bin ich ihre älteste Reitschülerin.

 

Mein erstes Treffen war auch schon meine erste Stunde bei ihr und mit vollem Programm. Putzen, Bodenarbeit und auf dem Pferd verschiedene Übungen lernen, um es anzuhalten, wieder gehen zu lassen etc. Der Absprung am Ende vom hohen Pferd war für mich gewaltig. Sie nahm mich als Schülerin an und ich bin mit vielen Eindrücken flirrend, dankbar und erfüllt nach Hause.

 

Dienstag wieder meine Reitstunde, ein anderes Pferd, wieder putzen, bürsten, Haare kämmen und …. Hufe auskratzen, was mich zum weinen brachte, weil das Pferd nicht sofort auf mein sanftes Tippen den Huf hochnahm und ich in eine gewisse Panik geriet. Gerne wollte ich aufgeben, weil mich Gefühle überrollten. Nach ihrem geduldigen erMUTigen habe ich dann doch alle vier Hufe gehoben, gehalten, ausgekratzt, gebürstet.

 

Meine Erregung ging weiter, als ich dann von einer Erhöhung auf das Pferd stieg, um diesen geführten Ausritt bei schönstem Sonnenschein machen zu dürfen. An Getreidefeldern mit Kornblumen vorbei zum Waldrand, den Blick über die weite Rhön, so herrlich, doch immer wieder kamen Tränen und Bilder, Erinnerungen, die mit Leonie zu tun hatten.

 

Übungen mit Körperhaltung, anhalten und weitergehen, imaginäre Zügel halten, weil ich ohne Zügel auf dem Pferd sitzen wollte … dazwischen mein krampfhaftes nicht weinen wollen.

 

Mir kam vielerlei in den Sinn, wie oft ich anderen liebevoll erklärte, wie wichtig und heilsam es sei, alles anzunehmen und sein zu lassen, wie und was gerade da ist.

 

Und ich selbst erlebe gerade diesen aufbrechenden Schmerz, meine Tränen, das Traurige nicht aus- und aufbrechen lassen zu wollen, schambelastete alte Gefühle.

 

Diese Tage darauf weinte ich immer wieder. Mehr Tränen als in den letzten sechs bis acht Monaten zusammen.

 

Ich spüre ein großes Potential an Heilmöglichkeiten, auch uraltes und unbekanntes kommt zum Vorschein.

 

Mein Kopf weiß, dass es gut, wichtig, sinnvoll ist und ich nach Heilung in jeglicher Weise bete. Mein Körper flirrt, zittert, ist hochsensitiv angespannt, auch wenn ich meine Muskeln bewusst entspannen kann, immer wieder in meinen Körper lausche, der unendlich vieles gespeichert hat.

 

Es fordert Mut, Energie und Konzentration von mir. Vor allem Mut, weil Mut nicht heißt, keine Angst zu haben. Mut ist die Entscheidung, dass die Offenheit zum Leben und Lernen wichtiger ist als meine Ängste.

 

Vor Kurzem war ich hier in der Rhön bei einem Vortrag von Gerald Hüther, den ich seit über 20 Jahren bemerkenswert finde. Er sagt: „Der Mensch muss sich bewegen – und zwar immer dann, wenn die eigene Würde im Alltag bedroht ist. Das Problem ist, dass es viele gewohnt sind, würdelos behandelt zu werden. So macht sich der Mensch zum Objekt der Angebote, Absichten, Erwartungen und Bewertungen durch andere“.

 

 

 

"Hast du den Mut, dich auf die höchste Ebene des Vertrauens zu begeben?

 Es ist weniger eine Frage des Könnens als des Entschieden-Seins.

 An der Tür des Paradieses befindet sich ein Schild, auf dem steht: Entschlossenheit!"


 aus: Das Pferd sucht Dich! von Klaus F. Hempfling