Alles Lebende irrt sich.
Wir halten für Glück, was Unglück bedeutet,
und weinen über das Unglück, das gar keines ist.
Wir alle kennen das Kind, dessen Tränen
plötzlich einem Lachen weichen, wenn
man ihm einen Keks hinstreckt.
Was wir Menschen Glück nennen, ist nicht
mehr als diese Freude über einen Keks.
Kado Sawaki
aus: „Zen ist die größte Lüge aller Zeiten“
„Hoffnung ist eine der tiefgreifendsten Betäubungen unseres menschlichen Geistes.
Sie ist eine Droge, mit der wir uns vormachen, dass das Leben uns eine Zukunft nach unseren heute gestellten Bedingungen beschert.“
Dieses Zitat von Daniel Krämer, aus seinem Buch „Licht im Tal der Trauer“ habe ich immer wieder in mir bewegt.
Ich bin ein überaus positiv denkender Mensch und Hoffnung ist für mich ein ewig leuchtendes Licht in der Finsternis, ein Sprungbrett zu Glück und Zufriedenheit; Hoffnung hat für mich mit Mut, Möglichkeiten und einer würdigen Zukunftsaussicht für die gesamte Menschheit zu tun.
Dennoch hat Daniel Krämer mit seiner Behauptung recht, dass Hoffnung für viele Menschen wie eine „Droge“ und somit eine Betäubung des menschlichen Geistes sei.
Denn es ist ein verbreiteter Irrglaube, dass Glück wieder in unser Leben einzieht, wenn das Leid zu Ende gegangen ist oder unser Seelenfrieden von äußeren Bedingungen abhängig sei.
Wir habe von klein auf verinnerlicht, ALLES in gut oder schlecht zu unterteilen.
Wir teilen die Welt in gut oder richtig und in schlecht oder falsch auf. Diese Unterteilung hat damit zu tun, dass wir gut und richtig meinen, was für uns das Leichte und Unbeschwerte ist.
Das für uns Schwere nennen wir schlecht oder falsch oder Ungerecht, Bestrafung und Schicksal.
Doch das Schwere zu vermeiden bedeutet den Verlust unsere Lebendigkeit, Würde, Freiheit und Größe.
Trauer löst sich nicht mit der Zeit von selbst auf und heilt nicht alle Trauerwunden.
Wir selbst heilen unsere eigenen Wunden im Laufe der Zeit.
Wehren wir uns jedoch dagegen, Schmerzhaftes zu empfinden, hält sich Trauer nur noch hartnäckiger, um dauerhaft gefesselt zu sein und zu leiden.
Unsere Psyche benötigt einen gewissen Zeitraum, um das Geschehen eines tragischen Todes verarbeiten und integrieren zu können.
Zeit, in der sich viele Trauernde einer Transzendenz öffnen, einer Wirklichkeit, die unsere gewöhnliche Erfahrungswelt übersteigt. Eine Dimension, deren Zugang unserem Alltagsbewusstsein häufig nur eingeschränkt möglich ist.
Unser Lebensweg dient der Entfaltung unseres wahrhaftigen Wesens und alles Unwirkliche muss von uns abfallen.
Die Verstorbenen waren und sind Wirklichkeit. Der Prozess und der Inhalt der Trauer ist bis über den Rand gefüllt mit Unwirklichem, Verletzungen, Vorurteilen, Selbstvorwürfen und Theorien, mentalen und emotionalen Empfindungen.
Die Mythologien vieler Völker über den gesamten Erdkreis hinweg betonen die Notwendigkeit der Klärung und Läuterung unseres Bewusstseins. Ein Prozess, an dessen Ende wir wie Phönix aus der Asche steigen, eine Metamorphose, die uns nicht „repariert“, sondern verwandelt und uns näher zu uns selbst führt.
Nur durch einen schmalen Grat getrennt sind großes Glück und größtes Unglück, Höchstes und Tiefstes, wo alles bisher Gültige in einem Wimpernschlag der Zeit auf den Kopf gestellt wird. Trauernde erfahren plötzlich, was es heißt, sein Ich zu überschreiten und sich als Teil eines übergeordneten Ganzen wahrnehmen zu können.
Wie auch immer unsere Leidensgeschichte aussieht, sie ist weder in der Vergangenheit, noch im Sterben oder im Tod und sie entsteht nicht irgendwann in der Zukunft, sondern nur im Jetzt.
Unser Leid entsteht immer in diesem Moment und sie entsteht immer wieder neu, sobald wir unsere Aufmerksamkeit auf das Leid richten.
Das Gefühl der Trauer ist durch unsere familiäre Geschichte ebenso belastet oder tabuisiert wie die Gefühle von Wut, Verzweiflung, Hilflosigkeit, Gefühllosigkeit. Intensive Bereiche menschlichen Bewusstseins, des Veränderns und Heilens, sind wesentlich im Umgang damit, durch die familiäre Herkunft geprägt.
Durch das brodelnde Wasser der Ohnmacht oder durch den stillen See des Verlusts dringt man in die Tiefe der Trauer ein.
Auch wenn wir uns im akuten Leiden zunächst vehement dagegen sträuben, keine unserer Erfahrungen ist je umsonst und jede trägt ihren Sinn in sich, ob wir ihre Bedeutung schon erkennen könne oder nicht. In jedem Unglück wirkt auch ein Segen.
Warum sagst du, dass der Tod ungerecht ist?
Bestimmst du, was gerecht ist?
Warum sagst du, dass jeder es besser hat als du?
Sieht das jeder andere auch so?
Warum sagst du, dass es anders sein müsste?
Das Leben bahnt sich seinen Weg.
Auch der Tod nimmt sich seinen Weg.
Beide fragen nicht
ob es uns passt oder nicht.
Beide lassen sich nicht aufhalten
und auch durch unsere Vorwürfe
und Wünsche nicht beirren.
Vielleicht wissen sie es besser als wir?